Der Comic - Geschichte, Stile, Künstler

Der Comic - Geschichte, Stile, Künstler

 

 

 

von: Klaus Schikowski

Reclam Verlag, 2014

ISBN: 9783159604381

Sprache: Deutsch

280 Seiten, Download: 48909 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Comic - Geschichte, Stile, Künstler



Was ist ein Comic?


Wenn, wie in diesem Buch häufiger, von ›dem Comic‹ gesprochen wird, so ist damit natürlich nicht ein einzelnes Werk gemeint, sondern die Gattung. »Comic« steht dabei als Sammelbegriff analog zu den Begriffen »Film« oder »Literatur«, die ähnlich eine große Bandbreite an verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten und Formen erfassen. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der in den beiden anderen Gattungen Genres und Subgenres klassifiziert werden, fehlt dem Comic. Womöglich liegt das auch in der Unschärfe des Oberbegriffs, denn »Comic« kommt von »comical«, also vom Komischen, Absurden. Deshalb ist es schwierig, einen solchen Sammelbegriff, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte, zu einer Zeit also, als das einzige Trägermedium für den Comic noch die Zeitungen waren, heute noch als Oberbegriff auch z. B. für Comic-Romane mit ernsthaften Inhalten zu verwenden. In anderen Kulturen haben sich eher formale Begriffe für das grafische Erzählen gefunden, die mehr die Funktionsweise beschreiben. In Frankreich heißen Comics »Bande Dessinée«, was nichts anderes bedeutet als ›gezeichnete Bildstreifen‹. Im Chinesischen dagegen werden die Comics »Lien-Huan Hua«2 genannt: Der Begriff zielt analog zum Französischen auf den Aspekt der Bildfolge ab und bedeutet so viel wie ›Kettenbilder‹. Und in Japan wird die Bildergeschichte »Manga« genannt, zusammengesetzt aus zwei Schriftzeichen: Das »erste ›man‹ gelesene steht für ›spontan, impulsiv, ziellos‹ und damit auch für die Rhetorik der Übertreibung […]. Das zweite ›ga‹ gelesene heißt ›Bild‹ […].«3 In Italien hingegen werden die Bildergeschichten »fumetti« genannt und beziehen sich dabei auf die Sprechblasen, die wie Rauchwölkchen wirken und mit denen die Figuren zu sprechen in der Lage sind. Beim Comic handelt es sich also um ein internationales Massenphänomen, die Sprachverwirrung aber verdeutlicht, dass der Begriff nicht universell verständlich ist. Die unterschiedlichen Bezeichnungen drücken allerdings auch ein breites Spektrum der Bedeutung aus, das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts noch weiter ausgeprägt hat.

Natürlich lässt sich ein Comic leicht erkennen, denn er hat einige ganz typische Merkmale: Er ist z. B. gezeichnet. Eine Zeichnung ist ein subjektiver, künstlerischer Ausdruck und kann demzufolge auch einen ästhetischen Effekt beim Betrachter auslösen: Entweder gefällt eine Zeichnung, oder sie gefällt nicht. Viel liegt also im Auge des Betrachters: Die Bildkultur, die vom Comic vorgeschlagen wird, muss man begehen wollen.

Doch so leicht macht es uns der Comic auch wieder nicht, denn in die Zeichnungen ist Text integriert. Im Comic vereinen sich also zwei verschiedene Zeichensysteme, Bild und Sprache. Es ist ein leichtes für das Auge, beides simultan wahrzunehmen (man denke nur an die Untertitel bei einem fremdsprachigen Film oder an den Computerbildschirm). Der Comic ist aber in der Lage, beide Systeme so miteinander zu verschränken, dass das Werk zu einem einzigen Ausdruck wird. Wer sich also einen Comic zur Hand nimmt, muss sich, um das Gelesene verstehen zu wollen, nicht nur auf die Zeichnungen einlassen, sondern er muss auch den Zusammenhang zwischen dem geschriebenen Text und der Grafik herstellen: Er muss die Zeichensysteme interpretieren. Dies geschieht im Einzelbild, das in der Regel als Panel dargestellt wird: Das Bild wird dabei von Panelgrenzen umrandet. Es handelt sich dabei um regelrechte Kästen, in deren Grenzen sich Bild und Wort treffen. Heutzutage werden die Umrandungen auch weggelassen, um einen anderen Erzählfluss zu erhalten. Ein klassischer Comic hat jedoch Panels. Man könnte das Panel nun die kleinste Einheit des Comics nennen. Ein einzelnes Panel allein macht zwar noch lange keinen Comic aus, doch welche Kraft schon im Einzelbild steckt, zeigen die Einbildwitze oder Cartoons, die eben mit genau nur einem Bild arbeiten und vom Leser verlangen, dass er die dargestellte Situation vervollständigt. Wenn etwa ein Stein über dem Kopf einer Figur schwebt, ist dem Betrachter klar, dass er im nächsten Moment auf den Kopf prallen wird. Gerne wird in den Einbildwitzen auch mit Sprechblasen erzählt, wie dies im konventionellen Comic üblich ist. Die Sprechblase ist das Werkzeug im Comic, um Figuren sprechen zu lassen. In einer Sprechblase, die durch einen verlängerten Dorn einer Figur zugeordnet ist, finden sich gedruckte Dialoge. Die Blase gibt also einen Sprechakt im situativen Moment seines Entstehens wieder. Gedacht wird in sogenannten Gedankenblasen (die wie Wölkchen dargestellt sind). Erzählender Text findet sich in Blocktexten, also in abgegrenzten Texten in einer Ecke des Panels. Heutzutage begegnen einem kaum noch Gedankenblasen. Innerer Monolog (quasi Selbstgespräche der Figur) findet sich stattdessen verteilt im Bild in Blocktexten. Auf diese Weise wird der Monolog als stilistisches Mittel eingesetzt, um Dynamik zu erzeugen.

Das Panel funktioniert als solches aber nur in Zusammenhang mit einem anderen Panel, zwischen beiden ist ein schmaler Steg. Den Freiraum zwischen zwei Panels bzw. die weißen Flächen, die die Panels voneinander trennen, nennt man »gutter«, der englische Ausdruck für ›Graben‹. Dadurch wird angezeigt, dass es sich hierbei um verschiedene Momente handelt. Genau dieser schmale Raum stellt eines der großen Geheimnisse der Comics dar: Der Leser muss eine Verbindung beider Panels herstellen, und zwar unabhängig davon, wie nah oder wie fern die Bildinhalte zueinander stehen.

Mehrere Panels hintereinander ergeben eine Panelreihe, ähnlich einem Comic-Strip, wie er sich in den Zeitungen etablierte – in mehreren Panels hintereinander wird eine kurze Geschichte oder ein Witz erzählt. In einem Comic breiten sich die Panels allerdings auf einer Seite aus, verteilen sich als Folge und werden – zumindest im westlichen Kulturraum – von links nach rechts und von oben nach unten gelesen.

Das Einzelpanel hängt also mit weiteren Bildeinheiten zusammen und unterliegt einer eigenen, übergeordneten Struktur. Die übergeordnete Struktur des Panels ist die Seite. Auf einer Seite ordnen sich die Panels auf bestimmte Weise an, können arrangiert und regelrecht komponiert werden. Man kann hier von Seitenarchitektur sprechen, denn über eine bloße Aneinanderreihung gleich großer Panels hinaus bietet die Comic-Seite einige Möglichkeiten: Die Panels können querformatig oder längs arrangiert sein; einzelne Elemente können durch ihre Größe hervorgehoben werden; die Seite kann als Metapanel aufgebaut sein, also als ein großes Panel, in das mehrere kleine integriert sind; es können die Panelgrenzen weggelassen werden. Kurz und gut: Dem Künstler bieten sich eine Vielzahl an Variationsmöglichkeiten. Der Aufbau bzw. das Design einer Seite ist dabei weniger Selbstzweck als vielmehr Ausdruck des Erzählten, mit dem es korrespondiert (vorausgesetzt, dass man einen Comic liest, dessen Comic-Zeichner sein Handwerk versteht).

Der Comic-Zeichner legt also im voraus fest, wie die einzelnen Panels räumlich auf der Seite angeordnet werden. Diese Festlegung wird nicht durch die Gattung der Bildergeschichte vorgegeben, sie hält nur die Möglichkeiten bereit. Der Comic-Zeichner komponiert aus dem Comic-immanenten Vokabular eine Comic-Seite und passt sie der Geschichte an. Das bedeutet aber auch, dass auf der Comic-Seite zwei Prinzipien miteinander ringen, nämlich ein gestalterisches und ein erzählerisches Prinzip. Diese Prinzipien bedingen einander. Die Comic-Seite regiert also ein Mechanismus, der dem Zeichner nicht vorgegeben wird, sondern von ihm optional als bestmöglicher Ausdruck ausgewählt wird. Hat er aber die Seite einmal gezeichnet, so hat er sein System unlösbar miteinander verkettet. Das bedeutet, dass man bei einem Comic zwar nachträglich die Bildsprache analysieren kann, es aber keine vorab vorgegebene Struktur gibt, die beim Zeichnen eines Comics notwendigerweise aufgegriffen wird. Will man sich diese spezielle Struktur vorstellen, muss man sich nur ganz einfach alle Bilder und den Text wegdenken, so dass nur noch leere Panels übrigbleiben. Diese Kästen geben die zugrundeliegende formale Struktur des Comics wieder. Sie sind, ähnlich wie bei der Sprache, die Regularitäten, die den Satzbau bestimmen. Welche speziellen Wörter man dann schließlich als Subjekt, Prädikat oder Objekt einsetzt, bleibt einem auch in der Sprache selbst überlassen. Die kreativen Freiheiten eines Zeichners sind also unbegrenzt, denn er kann seine Geschichte in einer völlig neuen Anordnung, einer völlig eigenständigen Folge und Struktur ausdrücken.

Wie erzählt nun der Comic? Das lässt sich am besten an einem Vergleich erläutern. Der frühe Stummfilm zeigte eine Szene als Abfolge von Bildern, dann wurde eine Texttafel eingeblendet – bis sich der Tonfilm durchsetzte. Dieses Nacheinander hat der Comic zu einem Nebeneinander verbunden. Und durch die Integration von Texten in das Bild unterscheidet sich der Comic von den klassischen Bildergeschichten, wo die Bilder nur eine illustrierende Funktion hatten. Die Sprechblase aber sorgte im Comic dafür, dass das gesprochene Wort in seiner eigenen Umgebung abgebildet werden kann und dass Gleichzeitigkeit entsteht. Der Comic entwickelte sich wie der Film ab dem Ende des 19. Jahrhunderts – und hat auch eines der Merkmale des Films übernommen, nämlich die Verbindung von Einzelmomenten zu einem erzählerischen Akt. Die grundlegende Mechanik des Comics besteht also auch in der Verkettung einzelner Momente. Deshalb bezeichnet man den Comic auch gerne als »sequenzielle Kunst«4. Als Leser muss man sich das Erzählte regelrecht erarbeiten, indem man die...

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