Die Philosophie und die Wissenschaften

Die Philosophie und die Wissenschaften

 

 

 

von: Vittorio Hösle

C.H.Beck, 1999

ISBN: 9783406421099

Sprache: Deutsch

241 Seiten, Download: 832 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Die Philosophie und die Wissenschaften



Über die Unmöglichkeit einer naturalistischen Begründung der Ethik (S. 104-105)

Es ist eine der größten Demütigungen der Philosophie unseres Jahrhunderts, daß es ihr immer schwerer, wenn nicht gar unmöglich geworden ist, die Fortschritte in den Naturwissenschaften auch nur rudimentär zu verstehen. Während es im 18. und partiell auch noch im 19. Jahrhundert für Philosophen eine Selbstverständlichkeit war, die Grundzüge der wissenschaftlichen Theorien ihrer Zeit präsent zu haben, ist dies heute, bei der Spezialisierung des Wissens, nahezu unmöglich geworden. Eine Folge ist eine gewisse Geringschätzung der Philosophie durch die Naturwissenschaften.

Diese Geringschätzung wird begünstigt durch den Gegensatz zwischen dem raschen und höchst eindrucksvollen, häufig auch technisch verwertbaren Fortschritt der Naturwissenschaften und dem scheinbaren Stagnieren, wenn nicht Rückschreiten einer Philosophie, die immer weniger kreative oder gar richtungsweisende Entwürfe produziert und sich immer mehr mit ihrer Krise beschäftigt. Selbstzerstörung scheint eine Hauptbetätigung zeitgenössischer Philosophie auszumachen, und man kann es weder den Naturwissenschaften noch der sonstigen gebildeten Öffentlichkeit verargen, daß sich das Interesse an diesem Schauspiel in eng bemessenen Grenzen hält. In der Tat kann kaum ein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß die Naturwissenschaft heute im allgemeinen Bewußtsein weitaus eher als Trägerin umfassender weltanschaulicher Ansprüche gilt als die Philosophie. Die Zeiten, in denen der Begriff der Wissenschaft in erster Linie an die Philosophie geknüpft war (wie etwa im Deutschen Idealismus), scheinen längst vergangen, und auch nur wie Husserl die Philosophie eine strenge Wissenschaft neben anderen zu nennen würde heute kaum ein Philosoph wagen. Es wundert daher nicht, daß die Philosophie häufig mit Neid auf die Naturwissenschaft blickt. Das Ressentiment, das die Einstellung vieler Philosophen zu den Naturwissenschaften kennzeichnet, entlädt sich nun immer wieder in der gehässigen Bestreitung eines theoretischen Wertes der Wissen- schaft. Philosopheme, die à la Feyerabend den Naturwissenschaften Wahrheitsfähigkeit abstreiten oder sie dem Mythos gleichsetzen, schießen wie Giftpilze aus dem Boden und erfreuen sich allgemeiner Beachtung.

Mir selbst scheint eine solche Entwicklung verfehlt. Es kann m. E. kein Zweifel sein, daß die Naturwissenschaften in vielem segensreich auf unsere Kultur gewirkt haben: Man denke an die Erleichterung des Lebens ebenso wie an die Befreiung vom Aberglauben. Aber auch unter theoretisch-methodischen Gesichtspunkten verdienen die mathematisierten Naturwissenschaften die höchste Achtung: Ihre Leistung mutet manchmal geradezu märchenhaft an, wenn man darauf reflektiert, daß es einem Lebewesen auf einem kleinen Planeten gelingen kann, über die Struktur des Kosmos und seine zeitliche Entwicklung begründete Theorien aufzustellen. Es kann also nicht daran gerüttelt werden, daß in jeder Theorie menschlicher Rationalität die Naturwissenschaft einen wesentlichen Platz haben muß. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, daß den Naturwissenschaften dann entgegengetreten werden muß, wenn sie einen Absolutheitsanspruch erheben. Denn sosehr die traditionelle Philosophie sich die Beantwortung von Fragen angemaßt hat, die von den empirischen Wissenschaften vorurteilsfrei untersucht werden müssen, sosehr besteht heute die umgekehrte Gefahr, daß Naturwissenschaftler Fragen zu beantworten vorgeben, die weiterhin Domänen der Philosophie bleiben müssen. Die Philosophie hat m.E. gegenüber allen Einzelwissenschaften eine unaufgebbare Eigenständigkeit - das gilt gegenüber den Natur- ebenso wie gegenüber den Sozial- und Geisteswissenschaften. So ernst man die Naturwissenschaft nehmen muß, sosehr ist der Szientismus abzulehnen, die Auffassung also, daß nur die Sätze der Naturwissenschaften rational sein könnten.

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