Lehrbuch der Soziologie

Lehrbuch der Soziologie

 

 

 

von: Hans Joas

Campus Verlag, 2007

ISBN: 9783593379203

Sprache: Deutsch

746 Seiten, Download: 19648 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Lehrbuch der Soziologie



Kapitel 12 Familie (S. 313-314)

Am 7. Dezember 1999 stand in den Zeitungen eine Meldung über einen spektakulären und außergewöhnlichen Kriminalfall:

»dpa: Flensburg. Im sog. ›Backofen-Fall‹ um ein zu Tode misshandeltes und anschließend verbranntes Baby hat die Mutter vor dem Landgericht Flensburg ein Geständnis abgelegt. Sie habe die Leiche ihres Kindes in einem Küchenherd verbrannt und die Reste in den Hausmüll geworfen, sagte die 19-jährige gestern. Der 30 Jahre alte Vater ist der Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Er soll den acht Monate alten Säugling so schwer misshandelt haben, dass er an den Folgen starb. Er sitzt seit Ende Juni in Untersuchungshaft und hat die Tat bisher bestritten, beteuerte auch gestern, am ersten Prozesstag, das Kind und seine Frau nie geschlagen zu haben.

Die 19-jährige hingegen schildert stockend und fast emotionslos das schreckliche Geschehen. Die Beweisaufnahme ergab, dass der kleine Adriano, weil er ständig geschrien und den Vater genervt habe, von diesem des öfteren geschlagen und gekniffen worden sei, so dass der Säugling blaue Flecken an Kopf und Beinen gehabt habe. Bei einem erneuten Schreien im Februar sei das Kind von dem 30-jährigen in eine gefüllte Badewanne gesetzt und seinem Schicksal überlassen worden.

Erst nach mehreren Minuten habe der Mann sein Kind aus der Wanne genommen und ins Bett gelegt. Nachdem Adriano wieder geschrien habe, habe der Vater den Kopf des Babys ›hochgerissen und ins Kissen geworfen‹. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos gewesen. Die angeklagten Eltern wollten seinerzeit den Notarzt nicht rufen, weil sie befürchteten, die Misshandlungen könnten entdeckt werden. Aus diesem Grunde auch hätten sie beschlossen, die Leiche verschwinden zu lassen. Der Prozess wird fortgesetzt.«

Derartige Zeitungsmeldungen erregen die Öffentlichkeit. Schließlich gilt gerade die Familie als ein sozialer Raum, in dem der Einzelne sich geborgen fühlen soll, der frei von Gewalt und Machtmissbrauch ist, in dem man sich gegenseitig hilft und zu verstehen versucht. Wieso kann also ein Vater das Schreien seines Kindes nicht ertragen? Warum kümmert er sich nicht um die Ursachen? Warum stellt die Mutter sich nicht schützend vor den hilflosen Säugling, das eigene Kind? Wie kann sie »fast emotionslos« ihre eigene Tat schildern? Zwar gilt die Familie als Inbegriff des Privaten, doch diese Tatsache bedeutet keineswegs, dass der Einzelne in der Familie außerhalb sozialer Normen stände.

Wenn die allgemeingesellschaftlichen Normen für das Familienleben gelten – reichen dann nicht auch die gesellschaftlichen Zwänge in den familialen Raum hinein? Aufgabe der Familiensoziologie ist es, diese Macht des Gesellschaftlichen aufzudecken, indem sie systematisch erklärt, wie und in welchem Maße soziale Zwänge und Abhängigkeiten in das Familienleben eingreifen. Im Folgenden werden wir immer wieder auf dieses Zusammenspiel zwischen Gesellschaft und Familie stoßen. Der erste Abschnitt beschreibt die Funktionen und sozialen Strukturen der Familie und deren Variationsbreite innerhalb einer Kultur bzw. zwischen verschiedenen Kulturen.

Historisch gesehen haben sich in Deutschland nicht nur die Aufgaben der Familie, sondern auch die familialen Strukturen verändert. Der zweite Abschnitt beleuchtet diesen Strukturwandel, dabei wird deutlich, dass die traditionelle Kernfamilie – selbst in Deutschland – nur eine Familienform unter anderen ist. Auch auf alternative Lebensformen wird in diesem Zusammenhang eingegangen. Die Themen des nächsten Abschnitts sind die Partnerwahl, die Eheschließung und die Ehescheidung. Aus welchen Gründen heiratet man heute überhaupt noch? Warum lassen sich immer mehr Leute scheiden, und welche Folgen hat eine Ehescheidung? Anschließend diskutieren wir – anknüpfend an das eingangs zitierte Beispiel – Fragen der Machtkonstellationen innerhalb der Familie und analysieren verschiedene Ursachen für die familiale Gewalt. Schließlich versuchen wir, eine Prognose für die Zukunft der Familie zu stellen.

Kategorien

Service

Info/Kontakt

  Info
Hier gelangen Sie wieder zum Online-Auftritt Ihrer Bibliothek